"Wer rastet, der rostet." Ist das nicht ein deutsches Sprichwort? In Thai haben wir etwas Entsprechendes, es heißt wörtlich übersetzt: "Wenn du nichts tust, wirst du faul und ungenießbar." Ich liebe Sprichwörter, ich habe eine Sammlung in allen Sprachen. Alle treffen irgendwie die Wahrheit. Manche sagen auch etwas über ein bestimmtes Volk aus, aber die meisten kann man auf die ganze Menschheit übertragen. Fast jeden Tag lerne ich ein Sprichwort auswendig, das hält das Gedächtnis auf Trab. Dieses Jahr wurde ich 75 Jahre alt. Da ist es wichtig, dass man sich fit hält, denn ich praktiziere noch immer.
Ich habe vier Kinder. Die Älteste ist eine Tochter. Wasana war immer sehr klug. Ich wollte, dass sie in der Chulalongkorn Universität in Bangkok Medizin studiert, so wie ich. Dort werden nur die Besten genommen, und sie war sehr gut in der Schule. Aber sie hatte ihren eigenen Willen. Und Doktor werden wie ihr Vater, das wollte sie überhaupt nicht. Für sie ist es wichtig, neben dem Beruf auch ein Privatleben zu haben. Da war ich kein gutes Beispiel. Ein einschneidendes Erlebnis für sie war ein Picknick in unserem großen Garten, etwa eine Stunde Autofahrt von hier. Es war ihr zehnter Geburtstag. Die ganze Familie saß auf Matten im Schatten eines Durian-Baumes und fing gerade an, die köstlichen Gerichte auszupacken, die meine Frau vorbereitet hatte. Ich hatte nicht so häufig Zeit, mit der Familie zu picknicken. Aber meine Tochter hatte sich das zu ihrem Geburtstag gewünscht. Es gab Hähnchenschlegel und Klebereis, scharfen Papayasalat und gebratenen Fisch, Garnelensuppe und Tintenfischsalat. Für den Nachtisch hatten die Kinder Obst geerntet. Es war eine fröhliche Stimmung, und meine Tochter war richtig glücklich. Da kam eine Frau angerannt. "Herr Doktor, Herr Doktor, kommen Sie schnell, mein Mann ist umgefallen und röchelt nur noch!" Selbstverständlich ließ ich alles liegen und stehen und folgte der Frau. Ich hörte, wie Wasana wütend hinter mir herheulte. An diesem Tag erkannte sie, dass ein Arzt nie ein Privatleben hat, dass er immer und überall seinen Patienten zur Verfügung steht, selbst am Geburtstag der Tochter. In vielen Gesprächen habe ich ihr klar zu machen versucht, dass es nicht nur Pflicht ist, für die Patienten da zu sein, sondern auch Freude. Doch sie dachte immer …
… Jeden Tag kamen Patienten mit Schlangenbissen. Wenn sie schnell genug bei mir waren, konnte ich sie meistens retten. Ich wusste zwar nicht genau, welche Schlange gebissen hatte. Aber es gibt nur drei Varianten, wie Schlangengift wirkt: entweder durch Neurotoxine - also Nervengift - oder durch Hämatoxine - also Blutgift - oder beides gleichzeitig. Das Nervengift, das die Kobra oder Königskobra injiziert, wirkt hauptsächlich auf das zentrale Nervensystem. Es lähmt einen Teil des Gehirnes, welcher für verschiedene Lebensfunktionen notwendig ist. Die Lunge erhält nicht mehr den Befehl zu arbeiten, und der Patient erstickt. Außer ein Serum zu spritzen, mussten wir deshalb auch etliche Male künstlich beatmen. Ob die Kobra oder die Königskobra gefährlicher ist, kann ich nicht sagen. Die Kobra ist viel kleiner, aber ihr Gift ist zehnmal konzentrierter. Die Königskobra ist riesig, sie kann bis fünf Meter lang werden, sich aufrichten und einen Menschen in den Hals beißen.
Die meisten Patienten wurden von Vipern gebissen, die das Blutsystem vergiften. Bisse der malaysischen Mokassin-Viper, einer unscheinbaren, grau-braun-schwarz gefärbten Schlange, kamen am häufigsten vor. Ihr Gift wirkt zwar langsam, kann aber ohne Behandlung tödlich sein. Die Bauern, die ihre gebissenen Kollegen brachten, wussten schon, dass der Patient möglichst nicht bewegt werden durfte, um seinen Kreislauf nicht unnötig anzuregen. Sie hatten gelernt, dass man sofort einen Ring abstreifen oder einen Schuh ausziehen musste, je nachdem, wo sich der Biss befand. Denn die Bissstellen schwollen schnell an und schmerzten sehr stark. Doch durften die Bauern dem Opfer auf keinen Fall Aspirin geben, auch wenn es noch so sehr nach Schmerzmitteln schrie, denn dadurch würde das Blut verdünnt und das Gift sich noch schneller im Körper verteilen. Sie flößten ihm deshalb Paracetamol ein, aber meistens waren die Schmerzen so stark, dass es nicht allzu viel nutzte. Der Patient blutete aus Mund, Nase, Harnröhre, erbrach Blut und starb ohne Behandlung an seinen inneren Blutungen. …
… Das war eine harte Zeit, damals in Phatthalung. Wenig Verdienst und viel Arbeit, oft zwanzig Stunden ohne Pause! Wir waren nur fünf Ärzte und ständig im Einsatz. Aber ich habe dort viel gelernt und unzähligen Menschen das Leben gerettet. Das hat mich mit großer Zufriedenheit erfüllt. Ja, damals war ich richtig glücklich! Mein Hobby war das Zaubern. Ich habe schon in meiner Studienzeit damit angefangen, aber später, als ich in der Phang Nga Provinz lebte, wurde ich ein richtiger Profi. Das Zaubern hat mir großen Spaß gemacht. Ich übte viel, zuhause oder im Krankenhaus während des Bereitschaftsdienstes. Bei meinen Auftritten …